E-text prepared by Hubert Kennedy
Schilderungen aus der kleinen Stadt
von
Ich lache nicht über sie, weil sie so sind, wie sie sind; ich lacheüber sie, weil sie sich einbilden, ihr Leben sei ein Muster und einBeispiel, und daß es wert sei, zu leben, wie sie leben.
John Henry Mackay
Der Dunst der brennenden Kohle erfüllte die Luft weithin. Austausend Schloten qualmte der Rauch, gelb, schwarz, grau und weiß,empor, und all' diese dicken Wolken lösten sich unmerklich auf indie ungeheure Dunstwelle welche unablässig auf Meilen hin dasFlußtal in seiner ganzen Breite beschattete.
Ueber der kleinen Stadt lag sie wie ein dünner Schleier. Zuweilenlüftete diesen Schleier ein frischerer Windhauch, der von Süden dasTal heraufzog. Aber es dauerte nicht lange und er war wiederherniedergefallen auf die reizlosen Züge, die er wie in Mitleidverhüllte.
Eigentlich waren es zwei Städte, die hier zusammenlagen. Aber nurder Fluß, ein träger, gelber Fluß, trennte sie, und zwei Brückenverbanden sie: eine alte massive aus Stein, mit mächtigen Pfeilernund Quadern, die noch alles lautlos ertragen hatte, was über siehinweggezogen war, und eine neue aus modernem Eisen, welche ächzteund bebte, wenn die großen Lastwagen über sie hin fuhren, undgräßliche Massen Staub unter den schweren Rädern hervorhustete.
Der Fremde, der auf den Höhen des Tales hinwandernd die roten undschwarzen Giebel zu seinen Füßen sah, glaubte nicht anders, als siegehörten alle zu dem Bezirke einer Stadt. Aber die, welche unterdiesen Giebeln wohnten, waren anderer Meinung. Und auf sie kam esdoch an.
Seit undenklichen Zeiten lagen die Schwesterstädte einander in denHaaren. Die kleinen Reibereien endeten nie; die letzten Wahrzeichender großen entscheidenden Schlachten aber waren die leerenAugenhöhlen der Gaslaternen auf der "alten" Brücke—: unter denSteinwürfen der den Alten nachzwitschernden, nein, nachheulendenJugend beider Städte waren sie dahingesunken, unter Würfen, die ihreedleren Ziele leider verfehlt hatten.
In Dialogen von gleich klassischer Kürze und Schönheit endeten diese
Kämpfe:
"Wart' nur, ich sahns abber meinem Vatter!" der eine.
"Und ich sahns meiner Mutter, die packt dei Mutter!" der andere.
"Aber mei Vatter is stärker wie dei Vatter."
"O du Dürmel, kumm nure nit dohär . . ."
Die Gesellschaft der Stadt setzte sich leicht erkennbar aus drei
Grundelementen zusammen: aus Großhändlern, Beamten und aus Militär.
Seit sehr langen Jahren saßen die Ersteren hier fest. Sie waren derUrstamm des Bürgertums. So lange hatten sie fast nur untereinandergeheiratet, daß sie gewissermaßen eine große Familie geworden waren,welche sich in ererbten Anschauungen und Bräuchen so lange wieirgend möglich fortzubewegen suchte und unter sich mit einem hartenAnklang an den Dialekt der Gegend sprach.
Million zu Million häufend hatten sie hier eine moderne Zwingburgdes Kapitals errichtet, gegen die anzukämpfen eine Unmöglichkeitschien. Noch nie war es versucht worden.
So hatten sie—die unumschränkten Herrscher dieser Stadt—ihrlange den Stempel aufgedrückt; den Stempel eines souveränen,starren, fortschrittfeindlichen Willens.
Das waren die "Alldahiesigen!" . . .
Dann hatte der Staat große Betriebe errichte